29. Juli 2024

„Im neuen Nahverkehrsplan wird es darum gehen, den bestehenden Status quo des ÖPNV weiter zu verbessern“

Interview mit Matthias Altenhein, ehemaliger Geschäftsführer der Nahverkehrsorganisation DADINA

Lieber Herr Altenhein, vielen Dank, dass Sie dieses Interview mit uns machen. Können Sie sich kurz vorstellen?

MA: Mein Name ist Matthias Altenhein. Als Kind der Region habe ich in Seeheim Abitur gemacht und in Darmstadt studiert. Nachdem ich mein Interesse für Verkehrsplanung entdeckt hatte, war mir schnell klar, dass ich eher im Bereich ÖPNV arbeiten möchte als zum Beispiel in der Straßenplanung. Das habe ich dann zuerst für einige Jahre bei der Stadt Darmstadt getan.

Danach war ich seit ihrer Gründung Geschäftsführer der DADINA. Seit dem 1. Juni 2024 befinde ich mich im Ruhestand. Die DADINA ist seit 1997 die lokale Nahverkehrsorganisation für die beiden Gebietskörperschaften Stadt Darmstadt und Landkreis Darmstadt-Dieburg und nach wie vor in Hessen die einzige Nahverkehrsorganisation, in der eine Großstadt und der umliegende Landkreis eine gemeinsame Verkehrsplanung machen.

Wie betrachten Sie nun, zu Beginn des Ruhestandes, die Entwicklung des ÖPNV in Darmstadt im Rückblick?

MA: Ich betrachte die Entwicklung des ÖPNV in Darmstadt natürlich positiv, sonst hätte ich ja auch irgendwas falsch gemacht (lacht). Auf jeden Fall hat sich in den letzten Jahren hier sehr viel getan.

Für mich ist das Straßenbahnnetz eines der Schlüsselelemente in der Verbindung von Stadt und Landkreis und ich bin ein bisschen stolz darauf, dass wir hier so gute Verbindungen geschaffen haben. Das erste große Projekt war in den 90er Jahren die Straßenbahn nach Kranichstein. Das war ein Leuchtturmprojekt, das sozusagen der Türöffner für die Weiterentwicklung des Straßenbahnnetzes war. Vorher war jahrzehntelang nicht viel passiert. Das Projekt war damals sowohl politisch als auch in der Bürgerschaft sehr umstritten. Bis zur Realisierung haben wir einen langen Atem gebraucht. Die nächsten Projekte, wie zum Beispiel die Straßenbahnverlängerung in Alsbach, gingen dann viel schneller.

Ansonsten kann man auch über die Entwicklung des tariflichen Bereiches einige Worte verlieren. Die DADINA war Vorreiterin mit innovativen Dauerkarten wie beispielsweise dem Seniorenticket oder dem MobiTick, das bei uns schon 1999 eingeführt wurde und später zuerst vom RMV und anschließend auch vom Land Hessen übernommen wurde.

Ein weiteres Thema ist die E-Mobilität, wo wir hier gerade in der Stadt sehr weit vorn mit dabei sind und es natürlich auch erklärtes Ziel ist, zukünftig noch mehr E-Busse einzusetzen.

Welche Herausforderungen sehen Sie für den Darmstädter ÖPNV für die Zukunft? Worauf kommt es aus Ihrer Sicht an, um diese zu bewältigen?

MA: Ein wichtiges Zukunftsthema ist für mich die Digitalisierung. Da ist auch das Deutschlandticket ein wichtiger Baustein. Über kurz oder lang wird es im ÖPNV in Richtung bargeldlosem Vertrieb gehen. Wie wir aktuell an der Diskussion über abgebaute Fahrscheinautomaten sehen, ist es aber nicht immer einfach, alle Interessen unter einen Hut zu bekommen. Hier ist es die besondere Herausforderung, alle gut mitzunehmen.

Unser Ziel ist natürlich, die Fahrgastzahlen deutlich zu steigern. Auch und besonders im Sinne des Klimaschutzes gibt es ja langfristig eigentlich nur den Weg, auf den ÖPNV umzusteigen. Dafür müssen wir potenziellen Fahrgästen aber auch ein attraktives Angebot machen. Die größte Herausforderung ist auf jeden Fall die Finanzierung. Im Moment haben wir auf allen Ebenen damit sehr zu kämpfen. Am Geld hängt auch die Schaffung von neuen und modernen ÖPNV-Angeboten wie On-Demand-Verkehren oder neuen Straßenbahnstrecken, vor allem zwischen Stadt- und Landkreis.

Was wir sehen: Ob auf Bundes-, Landes- oder auch der kommunalen Ebene – nirgends ist genug Geld da. Letztendlich bleibt es dann oft an der kommunalen Ebene hängen, also hier an der Stadt Darmstadt oder dem Landkreis Darmstadt-Dieburg. Die Finanzierung des ÖPNV muss für die Zukunft besser geregelt werden. Wenn hier nicht nachgesteuert wird, können wir die Mobilitätswende vergessen.

Wie kann es konkret gelingen, die Attraktivität des ÖPNV zu steigern?

MA: Ich denke, für die Fahrgäste spielen verschiedene Aspekte zusammen. Sie wollen an die Haltestelle kommen und dort ein einladendes Ambiente und ausreichende Informationen vorfinden. Und anschließend in ein sauberes Fahrzeug einsteigen, das relativ oft kommt, möchten damit eine angenehme Fahrt haben und sich auch während der Fahrt weiter informieren können.

Ein weiterer wichtiger Punkt ist die Reisezeit und die nötigen Umsteigebeziehungen. Je öfter man umsteigen muss, desto geringer die Bereitschaft, den ÖPNV zu nutzen. Eigentlich muss hier alles zusammenspielen.

Und natürlich spielen auch die Kosten eine große Rolle. Wobei wir sehen, dass die Kosten für den Unterhalt eines eigenen Pkws häufig nicht vollumfänglich gegen die Kosten für ein ÖPNV-Ticket abgewogen, sondern meist ausschließlich die Spritkosten betrachtet werden.

MA: Können Sie uns etwas über die Zielsetzung und Strategie des fortzuschreibenden Nahverkehrsplans erzählen?

Die Stadt Darmstadt und der Landkreis Darmstadt-Dieburg sind eine der wenigen Gebietskörperschaften in Hessen, die mit der DADINA als Bindeglied einen gemeinsamen Nahverkehrsplan aufstellen. Dieser muss in beiden Gebietskörperschaften beschlossen werden: der Stadtverordnetenversammlung und im Kreistag. Der Nahverkehrsplan legt die Aufgaben und Ziele des ÖPNV für die nächsten fünf Jahre fest.

Im ersten Schritt sammeln wir dafür alle Daten, die wir kriegen können. Dazu gehören die Fahrgastzahlen, aber auch städtebauliche Entwicklungen wie die Ausweisung von Neubau- und Gewerbegebieten. Durch zwei umfangreiche Beteiligungsverfahren werden alle relevanten Akteure einbezogen. Zusätzlich arbeiten wir diesmal mit einem Verkehrsmodell, wofür wir eine spezialisierte Firma beauftragt haben. Diese verfügt über eine umfangreiche Verkehrsdatenbank und wertet mobile Daten aus, um in Erfahrung zu bringen, von wo nach wo sich Verkehrsströme über den Tag bewegen.

Es gibt allerdings keinen Anspruch auf die tatsächliche Umsetzung des Nahverkehrsplanes. Diese ist immer vorbehaltlich der Finanzierung zu sehen. Der Plan enthält nicht nur neue Planungen, sondern auch bereits bestehende Angebote und macht Vorschläge, wie diese verbessert werden können. In den letzten Jahren waren die Nahverkehrspläne von größeren Ausbaumaßnahmen gekennzeichnet. Zukünftig müssen wir uns vermutlich durch die schwierige Haushaltlage mit neuen Projekten im Vergleich eher zurückhalten, das hat die Politik bereits durchblicken lassen. Fokus wird auf Erhalt und Verbesserungen des Status quo liegen. Dabei wird unter anderem die Ludwigshöhbahn eine wichtige Rolle spielen.

Können Sie diesen Punkt etwas näher beleuchten?

MA: Die Ludwigshöhbahn ist eines der wichtigsten Projekte für den kommenden Nahverkehrsplan. Das hat vor allem zwei Gründe, wovon der erste auf der Hand liegt: Dieses große neue Wohngebiet muss vom Nahverkehr erschlossen werden. Der zweite Grund ist von der Öffentlichkeit vielleicht bisher ein bisschen unterschätzt worden: Durch die Durchbindung vom Ludwigshöhviertel auf die Heidelberger Straße stellen wir eine Netzfunktion her. Das sternförmige Schienennetz in Darmstadt stößt an seine Grenzen. Zukünftig müssen daher neue Querverbindungen zwischen seinen Achsen geschaffen werden.

Welche konkreten Vorteile erwarten Sie für den Straßenbahnbetrieb und für Fahrgäste von der Durchbindung der Straßenbahngleise auf die Heidelberger Straße?

Wir haben zukünftig die Möglichkeit, bei Baumaßnahmen oder -störungen im Bereich zwischen der Kreuzung Heidelberger Straße/Cooperstraße und dem Luisenplatz eine Alternativstrecke zu etablieren. Zum ersten Mal können wir so von Eberstadt kommend eine Umfahrung der Heidelberger Straße bis zum Luisenplatz ermöglichen. Somit machen wir das Netz deutlich resilienter. Das ist der große betriebliche Vorteil.

Der Vorteil für die Fahrgäste liegt vor allem darin, dass wir zukünftig bessere Verbindungen realisieren können. Nicht nur das Straßenbahn- sondern auch das Busnetz läuft aktuell am Luisenplatz zusammen, wodurch der Luisenplatz permanent stark belastet ist. Wenn wir eine neue Direktverbindung von Süden schaffen können, bei der nicht mehr am Luisenplatz umgestiegen werden muss, werden davon Fahrgäste aus Eberstadt, aber auch aus Seeheim oder Alsbach profitieren. Gerade für den Schülerverkehr ist das eine sehr interessante Direktverbindung wegen der vielen Schulen im Südosten Bessungens. Die Schüler und Schülerinnen müssen dann zukünftig nicht mehr über den Luisenplatz anfahren. Und andersherum gilt natürlich das gleiche: Die Erschließung des Viertels auch in Richtung Süden ermöglicht es zukünftig den dort Wohnenden, auch nach Eberstadt oder an die Bergstraße zur Arbeit aus Darmstadt raus zu pendeln, ohne über den Luisenplatz fahren zu müssen. Die Vorteile der Schaffung einer tangentialen Achse im Straßenbahnnetz durch die neue Bahnstrecke sind somit aus verkehrsplanerischer Sicht tatsächlich immens.

Herr Altenhein, wir danken Ihnen für dieses Gespräch!

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